Kreuzberger Chronik
Dez. 2019/Jan. 2020 - Ausgabe 215

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Der Hammer


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von Jürgen, Grage

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Es war Frühling. Erster Sonnenschein. Saß draußen vor‘m Laden und wartete auf Kundschaft. Dann sah ich sie: Schwester Lea mit üblicher Plastiktüte zielstrebig auf mich zu kommen. Sie war um die 80 - noch gut drauf. Unter ihrem Pinguin-Kostüm ein kräftiger Körper und dazu ein Gesicht, das wenig Sonne - aber viel Leid gesehen hat. Wie immer hatte sie eine Kleinigkeit dabei, die sie mir schenken wollte. Diesmal war es ein altes, defektes Kofferradio. Ich nahm es und gab ihr wie immer ‘nen Fünfer für’n Klingelbeutel. Zufrieden zog sie von dannen und das Radio flog in den Müll. Tage später: Lea wieder im Anmarsch. Welch Wunder: ohne Plastiktüte. Sie habe eine Entrümpelung anzubieten. Habe die Schlüssel gleich mitgebracht. - Ich nahm den Schlüssel, erklärte ihr, dass ich selbstverständlich von ihrem Verein kein Geld nähme und morgen anfange, zu räumen. Sie sagte noch: »Gott wird‘s Ihnen danken.« Was ich auch stark annahm. Und sie ging zufrieden von dannen.

Nächsten Tag 10 Uhr: Treffen im Laden - Mannschaft komplett. LKW sprang an und - in Gottes Namen - ab zur Wohnung. Dort angekommen, merkwürdige Geräusche aus »unserer« Wohnung. Vielleicht Einbrecher? Doch am Türschloss nichts zu sehen. Ich nahm die Schlüssel, schloss auf. Ging einwandfrei. Im Flur der Bude angekommen wurde es immer lauter - man schien uns nicht gehört zu haben. Machte vorsichtig die Tür zum Wohnzimmer auf und dann sah ich sie: Lea.

Sie hatte ihre schwarzen Flügel über einen Stuhl gelegt - nur noch weiße Bluse, langer schwarzer Rock, weiße Haube auf der Birne - und vor sich ein prall gefüllter Sack. Sie hatte einen Hammer in der Hand und schlug mit himmlischer Gewalt immer wieder auf den Sack, als wär es der Satan persönlich! Es knackte und klirrte - daher die Geräusche. Doch es war nicht der Satan, den sie zerstörte, nein, es war das Meißner Porzellan aus der Jahrhundertwende, was sie vernichtete! Ich konnte nicht mehr verhindern, dass das letzte Stück aus der Vitrine - eine wunderschöne Zwiebelmuster-Kaffeekanne - dem himmlischen Hammer zum Opfer fiel. Ihr Werk war vollbracht.

Sie legte den Hammer zur Seite, zog ihre schwarze Kutte an und meinte: »Herr Grage, habe seit 7 Uhr auf Sie gewartet und dachte, kannst‘n bisschen helfen und fange schon mal an, zu entrümpeln.” - Ich wollte sie eigentlich nicht belügen, bedankte mich trotzdem. Sanft schob ich sie nach draußen - sie sah ziemlich erschöpft aus - also fuhr ich sie nach Hause. Danach fuhr ich ins Geschäft, rief meine Leute an und gab die Order, mir den Sack in den Laden zu bringen. Vielleicht war doch noch was zu retten. Doch Lea hatte gründlich gearbeitet. Und so ging Meißner Zwiebelmuster-Porzellan aus der Gründerzeit im Wert von ca. 20.000 DM den Weg zur himmlischen Müllkippe. Und ich wurde dadurch zum Frühaufsteher bei künftigen Entrümpelungen. •


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